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Sneak Peaks 2024

Sneak Peaks 2024

Zitternd und komplett durchnässt versuche ich auf einer Toilette meine Klamotten etwas zu trocknen. In der Fangruppe Dotwatchers@RTCDSD wird mein Frust über das Wetter nur nüchtern kommentiert, dass es daheim in Köln auch nicht besser sei. Dabei hatte ich mir Sonnenschein, Cappuccino, Pizza und schöne Landschaften in den Dolomiten vorgestellt, als ich mich für das Sneak Peaks angemeldet hatte.

Sneak Peaks – so heißt das neueste Unsupported-Bikepacking-Rennen von Raphael Albrecht. Drei verschiedene Strecken stehen zur Auswahl, Startort ist jeweils Bozen. Ich wähle die Streckenvariante „Classic“ mit 764 km und wahnsinnigen 28.830 Höhenmetern. Anfang September stehe ich mit etwas mehr als 130 Menschen auf dem Minigolfplatz Ahoi, der als Event-Gelände umfunktioniert wurde.

Von Bozen aus geht es direkt gen Osten in die Dolomiten. Über wunderschöne aber teils unfassbar steile Schotterpisten, Straßen und Wanderwege fahren wir bis kurz vor Tolmezzo, Retour geht es über Teile der Sella Ronda und durch das landschaftlich beeindruckende Fanes Massiv. Acht Checkpoints auf Berghütten geben eine gewisse Sicherheit – gutes Essen und Schlafplätze sollten also gesichert sein. Das „Sneak Peaks“ ist mein fünftes Bikepacking-Rennen und diesmal traue ich mich ganz wenig Gepäck mitzunehmen. Schlafen möchte ich immer in Hotels oder in den Hütten und deshalb nehme ich nur einen Biwaksack für den Notfall mit. Direkt am ersten Tag merke ich, dass ich dadurch weniger Flexibilität habe. Ich stoppe nach vergeblichen Versuchen ein Hotelzimmer zu buchen schon bei Checkpoint 2 gegen 20 Uhr. Die sehr nette Besitzerin auf der Rifugio Conseria serviert uns fantastische Pasta, danach versuche ich für knapp 2 Stunden etwas zu dösen.

Als ich gegen 23 Uhr aufbreche ist es sehr wuselig in der Hütte, in jeder Ecke liegt gefühlt jemand und schläft. Die Fahrt durch die Nacht zieht sich wie Kaugummi. Gegen Mittag bin ich froh im Anstieg zur Rifugio Scarpa (CP3) auf bekannte Gesichter zu treffen. Nette Gespräche lassen den viel zu steilen Anstieg wie im Flug vergehen.

Am Abend falle ich zufrieden in einem ziemlich heruntergekommenen aber günstigen Hotel in Lorenzago di Cadore ins Bett. Am nächsten Morgen checke ich das Wetter: Die Vorhersage sieht schlecht aus mit Unwetterwarnungen für die nächsten Tage. Der Organisator informiert uns, dass ein besonders exponierter Teil der Strecke entfernt wird. Nach einem schönen Straßen-Anstieg genieße ich den Sonnenaufgang. Das Licht ist unglaublich und ich weiß wieder, warum ich solche Events fahre.

Gegen Mittag treffe ich auf Jona, wir werden im Laufe dieses Tages immer wieder aufeinander treffen und zusammen fahren. Ein Ultracycling-Event ist eigentlich ein Ess-Wettbewerb: Mein Mittagessen besteht aus Pommes, Gnocchi, zwei Cola, Hefeweizen, Espresso und vier Bruschetta. Komischerweise ist mir nach dem kleinen Snack in der Auffahrt zum Monte Zoncola richtig schlecht und ich schiebe viel. Die Gespräche mit Jona bringen mich durch den regnerischen Nachmittag. Zusätzlich pushed es mich, dass meine beiden Verfolger Valy und Jost nur dicht hinter mir sind. In der Auffahrt zur Rifugio Marinelli ist der Regen nun richtig stark geworden und verwandelt sich in einen Sturm. Auf  der Hütte wird wieder gefuttert, was das Zeug hält, dann starten Valy und ich in die Abfahrt. Es ist mittlerweile stockdunkel und ich habe alle meine Klamotten an.

Nach wenigen Kilometern kommt uns Rapha oberkörperfrei gemeinsam mit dem Media-Team entgegen. Träume ich? Eine kurze Unterhaltung und ein paar Fotos später fahren wir weiter, bis Valys Dropbar mitten in der Abfahrt bricht. Zum Glück kein Sturz. Es schüttet wie aus Kübeln und ich kann nur wenige Meter weit schauen. Valy kann zum Glück langsam weiterfahren und ich begleite ihn zur nächsten Stadt, wo er sich ein Hotelzimmer nimmt. Er wird leider am nächsten Tag keinen neuen Lenker finden. Zitternd erreiche auch ich gegen 23 Uhr mein Hotel. Die Besitzerin wartet auf mich und es gibt sogar noch etwas zu essen. Vier Stunden Schlaf später schüttet es immer noch und in Innichen erreiche ich meinen absoluten Tiefpunkt. Ich fühle mich eklig, mir ist kalt und ich stelle mir die Sinnfrage. Klamotten trocknen, etwas essen, Musik hören und laut Regenradar eine Wetterbesserung heben meine Stimmung deutlich. Es geht weiter.

Im Anstieg zur Putzalm teilt sich der Weg, links ist Radfahren verboten, rechts ist der Fahrradweg. Die Strecke geht natürlich links. Ich verfluche Rapha und schiebe mein Fahrrad. Mit Musik auf den Ohren schaffe ich den Anstieg irgendwann. Die Sonne kommt raus und alle Strapazen sind vergessen. Ich bin komplett im Moment. Bei Langstreckenevents durchlebe ich Tiefs und nur wenige Momente später unglaubliche Hochgefühle. Das fasziniert mich und fühlt sich irgendwie nach Freiheit an. Auf der Plätzwiese liegt ein Hund mitten in der Sonne und döst. Gute Idee, ich lege mich für 10 Minuten dazu. Weiter geht es durch das beeindruckende Fanes-Massiv bis Seis am Schlern.

Am nächsten Morgen sind es „nur“ noch zwei lange Anstiege bis ins Ziel. Mein rechtes Knie schmerzt leider immer stärker und ich muss häufig zum Dehnen anhalten. Die Dotwatcher-Gruppe des RTCDSD schreit mich virtuell den letzten Anstieg hoch. Die schnelle Abfahrt nach Bozen geht in Kurven und durch Tunnels wie in einer Wasserrutsche bergab. Dann bin ich im Ziel. Ungewöhnlich viele Teilnehmende empfangen mich mit lauter Musik. Ich bin müde und erschöpft aber unglaublich zufrieden. Mit 4 Tagen und 7 Stunden bin ich schnellster auf der Classic-Strecke.  Das Sneak Peaks ist ein wunderschönes und liebevoll organisiertes, aber hammerhartes Event.

Fotocredits: ©jacob_kopecky und ©Saskia Martin

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