Rennradfahren für den Frieden
Acht Uhr morgens. Es ist bitterkalt und meine Handschuhe sind weg. Wir wollen pünktlich von Hirson aus starten und ich werde jetzt mehr als unruhig. Die Zeit drängt, die Gruppe wartet nicht. Die Nacht zuvor verdient nicht den Namen. Zwei Stunden Schlaf. Es gab reichlich Wein und Bier. Wir haben diskutiert, die einen palieren perfekt französisch, die anderen radebrechend. Macht nichts, wir wollen einander verstehen und reden. Über den Frieden, den Ersten Weltkrieg, über die deutsch-französische Freundschaft, und über Europa – unsere Zukunft.
Wir, das sind rund 30 Belgier, Franzosen und Deutsche. Eine Gruppe, die mit einer Friedensfahrt vom belgischen Spa nach Compiegne in Frankreich an den Waffenstillstand vor 100 Jahren erinnert. Damals war eine deutsche Delegation genau auf dieser Route gefahren, wir machen das auch. Unsere weißen Trikots sollen an die weiße Flagge des Waffenstillstands erinnern. Mit dabei meine Wenigkeit, Dietmar, zwei Radrennfahrer von der Scuderia und zwei vom Radsportclub Schmitter.
Nun stehe ich hier in Hirson, ohne Handschuhe, es ist kalt und ich bin eigentlich noch betrunken. Bonjour la France. Die Gruppe ist mittlerweile weg. Ich hole Ersatzhandschuhe aus dem Besenwagen. Carlo und Michael warten auf mich, die Verfolgung beginnt. In einem höllischen Tempo rasen wir in den atemberaubenden Sonnenaufgang. Die Lungen und Beine brennen. Nebelschwaden ziehen durch die seichten Mulden. Glücksgefühle machen sich breit. Aber: hier wütete vor 100 Jahren der Krieg, kaum vorstellbar. Nach einer halben Stunde haben wir die Gruppe eingeholt. Einen rennradfahrenden Bürgermeister aus dem Nachbarort haben wir im Schlepptau. Er beteiligt sich an der Aktion. Hier geht es nicht um Sport, sondern um Völkerverständigung – mit Rennrädern.
Apropos Völkerverständigung. Den Abend zuvor waren wir Gast bei einer Gedenkveranstaltung mit dem französischen Staatspräsidenten Macron. Alle mussten sehr lange in der Kälte warten. Ich selbst war mit einem Franzosen und einem Belgier als „kleine“ Delegation“ zu einer Zeremonie in dem Ort Hirson vertreten: auf einem deutschen Soldatenfriedhof. Eine kleine Feier, die sehr bewegend war. Ich hätte nie gedacht, dass in solch einem Rahmen auch einmal die deutsche Hymne gespielt wird. Die Franzosen sind uns viel näher als wir es ahnen.
Diese Gedanken wandern durch meinen Kopf auf unserem Weg nach Homblieres nahe St. Quentin. Dort werden wir bereits erwartet. Das Gedenken an den Ersten Weltkrieg ist in Frankreich tief verwurzelt, auch in diesem Ort. Standartenträger, Honoratioren: mehr geht nicht. Als wir mit unseren Rennrädern eintreffen, beginnt die Zeremonie. Es wird der Toten gedacht. Anschließend werden wir zu Champagner eingeladen, es werden Köstlichkeiten gereicht.
Wir müssen aber schon bald weiter nach Tergnier. Wir sind mittlerweile den zweiten Tag unterwegs. Allerorten werden wir freundlich empfangen . Eigentlich sind wir dieser Tage nur eine Randnotiz. Tausende Menschen sind auf den Beinen, unzählige Veranstaltungen in Frankreich und Belgien. Für uns ist es aber ganz großes Kino, Momente der Anteilnahme.
Die Aktion
Drei Gruppen mit je acht Rennradfahrern aus Deutschland, Belgien und Frankreich starteten am 6.11.2018 vom belgischen Spa ins französische Compiègne fahren. Dort wurde vor 100 Jahren der Waffenstillstandsvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten unterzeichnet.
Geschichtlicher Hintergrund
Aufgrund der aussichtslosen Lage im Ersten Weltkrieg hatte General Ludendorff, Kaiser Wilhelm II. überzeugen können, in Friedensverhandlungen einzutreten bzw. in Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Am 6.11.1918 startete eine deutsche Delegation von belgischen Spa in Richtung Compiègne in Frankreich.